Getreideviertel-Oldenburg

Die Entwicklung eines Stadtteils

Ausblick

Das Getreideviertel ist ein 60 Jahre altes Viertel, aber ist es auch ein alterndes Viertel? Bis in die 1990er Jahre fand eine erste Empty-Nest-Welle statt. Die Kinder der Häuslebauer wurden flügge und zogen aus. Danach setzte ein Umbruch ein. Es kam zu ergänzender Bautätigkeit, indem Grundstücke geteilt wurden und neue, meist größere und höhere Häuser hinter der ersten Baureihe entstanden. Gleichzeitig wurden aber auch Häuser verkauft und neue Familien zogen ein. Im Rapsweg ist inzwischen die erste Doppelhaushälfte ersatzlos abgerissen worden, im Gersteweg verwahrloste ein Haus mehrere Jahre und wurde im November 2020 abgerissen. Und immer wieder stehen Häuser zum Verkauf, der sich oft lange hinzieht. Am äußerlich auffälligsten sind sind die Schritte zur Wärme-Isolierung der Häuser. Im Bebauungsplan (Stadt Oldenburg, Bebauungsplan N-549, 1982) heißt es: „Zusammengebaute Doppelhaus-Hälften dürfen sich in Form, Material und Farbe nicht unterscheiden, soweit sie von den öffentlichen Straßen aus sichtbar sind.“ Diese Vorgabe wurde in den letzten Jahren nicht weiter beachtet. Die Einheitlichkeit der Doppelhäuser ist in vielen Fällen nicht mehr gegeben. In zwischen geht die Tendenz dahin, die Außenwände mit einem Verbundsystem zu isolieren und dann zu verputzen. Die typische Zweifarbigkeit der Doppelhäuser mit (weißem) Putz im Erdgeschoss und rotem Klinker im Dachgeschoss geht hier völlig verloren. Bei den ersten Häusern, die isoliert wurden, gab es nach Aussage einer Anwohnerin vom Bauamt die Auflage unten weiße Steine und oben rote Klinkersteine zu verwenden um die Einheitlichkeit der Bebauung aufrecht zu erhalten. Diese Vorgabe wurde bei späteren Außenisolierungen von der Stadt nicht mehr gemacht. Das mag auch daran liegen, dass eine Außenisolierung in der Regel genehmigungsfrei ist, die Stadt also von dieser Maßnahme nichts erfährt und somit auch nicht regelnd einschreiten kann. Auch eine Isolierung des Dachs führt zu einer Erhöhung des Hauses, so dass bei einigen Doppelhäusern die Firsthöhe der Haushälften unterschiedlich ist. Nimmt man den Bebauungsplan wörtlich, so ist durch diese Dämm-Maßnahmen ein illegaler Zustand entstanden.

Bislang ist das Getreideviertel ein recht homogenes Viertel mit einer gut durchmischten Altersstruktur. Neben den alten Häuslebauern haben sich immer wieder junge Familien mit Kindern hier angesiedelt. Viele Grundstücke sind inzwischen geteilt und mit einem weiteren Haus bebaut. Die Nutzung der Häuser durch die noch verbliebenen Gründerhaushalte endet in absehbarer Zeit. Oft ist die nächste Generation nicht bereit, die Immobilie zu übernehmen. Lebensstile haben sich verändert, andere Wohnformen haben sich entwickelt, Grundrisse und energetischer Zustand sind nicht mehr zeitgemäß, so dass die Häuser nicht immer sofort zu vermarkten sind. Es fehlt ein kommunales Konzept, das den Bestand dieser einzigartigen Siedlung sichert. Bei anderen Stadtvierteln bzw. Bauensembles ist das inzwischen geschehen.


Neue Häuser

Es stellt sich die große Frage, wie sich das Viertel weiterentwickeln wird. Auch im Moment (2020) herrscht wieder großer Mangel an Wohnraum. Nur wenige Grundstücke im Viertel sind noch ungeteilt. Entsprechend können auch nur wenige Häuser zusätzlich erstellt werden, die Schaffung neuen Wohnraums wird dadurch begrenzt. Das kann dazu führen, dass die Grundstücke sehr intensiv bebaut werden. Am Ende vom Gersteweg führen die jetzigen Planungen dazu, dass auf 2 Grundstücken (2.000 qm) nach Vollendung der Baumaßnahmen 4 Einzelhäuser und eine Doppelhaushälfte stehen werden. Man fragt sich, ob das noch maßvolle Verdichtung der Bebauung ist, wie im textlichen Teil des Bebauungsplanes ausgewiesen. Der Neubau an der Nordseite der Straße ist sehr auffällig, da es sich hierbei um ein 2-stöckiges Haus mit Flachdach handelt, was in dem Viertel wie ein Fremdkörper wirkt. 2 Stockwerke sollen laut Bebauungsplan eigentlich nur in Ausnahmefällen erlaubt sein. Fast das gesamte Grundstück wird bebaut. Der nicht überbaubare Grundstücksteil wird mit 2 Garagen und einem Wintergarten überbaut, vorne wird gepflastert. Und das in einem Gebiet, das Probleme mit dem Abfluss von Regenwasser hat.


Modernisierung

Eine Modernisierung des Viertels kann auf zweierlei Arten geschehen. Zum einen können die alten Häuser behutsam saniert und auf einen besseren energetischen Stand gebracht werden. Zum anderen könnten aber auch alte Häuser abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Diese Frage wird sich wahrscheinlich bei jedem Eigentümerwechsel stellen. Bei einem Einzelhaus ist diese Entscheidung sicherlich einfacher zu treffen als bei einer Doppelhaushälfte, wo immer noch ein zweiter Eigentümer dranhängt. Wünschenswert wäre ein Erhalt der Häuser, da diese das Viertel charakterisieren. Die einheitliche Bauweise ist immer noch zu erkennen. Mit dem ersatzlosen Abriss der ersten Doppelhaushälfte im Rapsweg ist allerdings der Präzedenzfall geschaffen, die einheitliche Häuserreihe aufzulösen und stattdessen individuelle Einzelhäuser zu schaffen. Das Stadtplanungsamt schweigt auf die Frage nach Plänen der Stadt für das Getreideviertel (Anfrage per Mail 2019). Dabei ist dieses Viertel eine architektonische Besonderheit in Oldenburg. Dass mehrere Straßenzüge eine ursprünglich völlig einheitliche Bebauung mit 3 Haustypen aufweisen, ist einzigartig. Die etwa 40 Doppelhäuser und ebenso viele Einzelhäuser gaben und geben diesem Viertel sein markantes und einzigartiges Aussehen. Nur in Bümmerstede gibt es einen Straßenzug, der ebenfalls mit den Doppelhäusern bebaut ist. Allerdings in weit geringerer Anzahl. Die in den letzten Jahren erteilten Baugenehmigungen lassen jedenfalls darauf schließen, dass das Viertel in seiner jetzigen Form nicht überleben wird. Es bleibt abzuwarten, wie die Bestimmungen im neuen Bebauungsplan aussehen werden. Die Bautätigkeiten in den letzten Jahren lassen nichts Gutes erwarten.

Sanierung vs. Abriss und Neubau

Auch beim Hausbau gewinnt der Gedanke der Nachhaltigkeit mehr und mehr an Bedeutung. Vor einem Abriss sollten die Bauleute sich fragen, ob ein Neubau wirklich nachhaltig ist. Es macht wenig Sinn ein energiesparendes Haus zu bauen, wenn dabei Herstellung und Transport der Baustoffe, die Verarbeitung vor Ort, die Emissionen während der Nutzung des Hauses und die Demontage und Wiederverwendung der Baustoffe nicht in die Planung mit einfließen. Beim Abriss eines Hauses wird viel Energie aufgewendet um Dach, Mauern, Decken und Fundamente zu zerkleinern. Das Material muss unter Aufwendung weiterer Energie abtransportiert werden. Ob ein Recycling möglich ist, hängt von der Art der Baumaterialien ab. Wenn beim Altbau ein Keller vorhanden ist, muss auch der aufwändig entfernt werden. Anschließend muss viel Sand aufgewendet werden um den Baugrund vorzubereiten. Seit einigen Jahren hat sich Sand weltweit verknappt. Teilweise wird Sand, der unter fragwürdigen Umständen abgebaut wurde, nach Deutschland importiert um den Bedarf zu decken. Das gesamte Baumaterial für den Neubau muss antransportiert werden. Hierbei entscheidet eher der Preis als die Regionalität oder Umweltverträglichkeit des Materials. Auch Energie- und Rohstoffeinsatz für die Herstellung des Baumaterials finden meist keine Berücksichtigung. Die Einschränkung von Energie beschränkt sich auf Isolierung, Heizverfahren und in seltenen Fällen noch eine Brauchwasserversorgung. Wenig Gedanken machen sich die Bauleute darüber, was am Lebensende ihres Traumhauses mit den eingesetzten Materialien passiert. Die Vergangenheit hat mehr als einmal gezeigt, dass hochgelobtes Baumaterial später zum Sondermüll wurde. Die Verwendung von Glaswolle z. B. wurde 2000 verboten, da sie als krebserregend eingestuft wurde. Heute kommen überwiegend erdölbasierte Dämstoffe zum Einsatz, die mit giftigen Flammschutzmitteln behandelt sind und daher als Sondermüll gelten. Natürliche Dämmstoffe (Holzfaser, Zellulose, Hanf ec.) führen noch immer ein Schattendasein, obwohl ihre Dämmeigenschaften sehr gut sind und sie ein gutes Wohnklima schaffen. Der Preis für konventionelle und natürliche Dämmmaterialien ist vergleichbar. Bei den konventionellen Dämmstoffen auf Erdölbasis folgen irgendwann hohe Entsorgungskosten, während die natürlichen Materialien gefahrlos entsorgt oder sogar recycelt werden können. Zur Zeit gibt es noch kein Recyclingverfahren für ausgediente Wärmeverbundsysteme. (Wer sich mehr mit der Thematik Abriss oder Sanierung beschäftigen möchte, dem sei ein Buch von Daniel Furhop empfohlen: "Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß".)